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Im Gespräch mit Dr. Regina Görner

Interview anlässlich des Welt-Alzheimertages und der Woche der Demenz 2024

 

In diesem Jahr ist das Motto zum Welt-Alzheimertag „Demenz – Gemeinsam. Mutig. Leben.“
Wo können wir mutiger mit dem Thema Demenz umgehen?

Wir sollten als Gesellschaft mutiger werden und das Thema Demenz immer wieder offen ansprechen. Es gibt noch viele Ängste, die durch mehr Wissen und Sensibilität abgebaut werden können. Wichtig sind ein unaufgeregter, respektvoller Umgang sowie Aufklärung und Zivilcourage. Wir müssen weg vom Fokus auf Leistung und hin zu einer akzeptierenden Haltung, in der wir Verletzlichkeit und Einschränkungen als natürlichen Teil des Lebens ansehen.

 

Was können Netzwerke für Menschen mit Demenz leisten?

Netzwerke sind für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen enorm wichtig. Sie bieten eine vertraute Umgebung, die Sicherheit und Zuversicht schafft. Einsamkeit kann eine Demenz begünstigen, während Begegnungen und Austausch mit anderen Menschen sowie neue Erlebnisse Körper und Geist anregen. Daher sind Angebote von Netzwerken, in denen die Menschen gemeinsam musizieren, in der Natur spazieren gehen oder sich mit Menschen unterschiedlichen Alters austauschen so wichtig, ja unverzichtbar. Erlebnisse dieser Art können eine vorbeugende Wirkung haben und vor allem schaffen sie Teilhabe. Auf den Punkt gebracht: Menschen mit Demenz aktiv einbinden – das ist unser gesellschaftlicher Auftrag!

 

Was hilft Menschen mit Demenz in ihrem unmittelbaren Umfeld?

Teilhabe geschieht häufig schon über das konkrete Einbinden in den Alltag. Dabei sind keine großen Aktionen nötig, sondern ein gelassener Umgang, der die Fähigkeiten – auch die noch unentdeckten – von Menschen mit Demenz betont. Natürlich gibt es auch belastende Phasen. Denken wir an die pflegerische Situation: Nach wie vor sind es überwiegend die An- und Zugehörigen, die in den Privathaushalten pflegen. Manchmal ist aber professionelle Pflege für alle Beteiligten die beste Möglichkeit. Niemandem ist geholfen, wenn sich An- und Zugehörige überfordern! Hilfen müssen im direkten Umfeld verfügbar und leicht zugänglich sein. Da gibt es noch viel Verbesserungsmöglichkeiten.

 

Müssen wir auch beim Einsatz von digitaler Technik mutiger sein?

Ob GPS-basierte Orientierungshilfen oder KI-basierte Sprachassistenzen bei der Begleitung von Menschen mit Demenz zum Einsatz kommen, ist in erster Linie keine Frage des Mutes, sondern eine Frage der Benutzerfreundlichkeit. Häufige Updates oder Sicherheitsabfragen stellen Hürden dar. Es braucht einfache Lösungen für Routinen, die auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten sind. Deswegen müssen Menschen mit Demenz als Expertinnen und Experten für ihr Leben wahrgenommen und von Anfang an in die Planung solcher Assistenzsysteme mit einbezogen werden. Wenn ich auf das Motto des diesjährigen Welt-Alzheimertages eingehe, dann kommt es hier vor allem auf das „Gemeinsam“ an.

 

Wie können wir mehr Akzeptanz für Demenz-Erkrankungen schaffen?

Demenz ist nur eine von vielen Veränderungen, die im Alter auftreten können. Statt den Fokus auf das zu legen, was nicht mehr geht, brauchen wir mehr Verständnis, Gelassenheit und Geduld. Menschen durchlaufen verschiedene Lebensphasen und verändern sich – das sollten wir akzeptieren und wertschätzen. Außerdem können Menschen mit Demenz ja noch Vieles übernehmen, sei es im Haushalt oder andere sinnstiftende Aufgaben. Es darf kein festgelegtes Bild vom "richtigen" Altern geben. Die Menschen und auch das Alter sind vielfältig und facettenreich.

 

Was motiviert Sie, sich für das Thema Demenz zu engagieren?

Mich motivieren meine unstillbare Neugier und die Hoffnung auf neue Lösungen. Ein guter Freund von mir ist ebenfalls betroffen und hat seine Erkrankung lange versteckt. Eine Demenz ist noch immer mit Scham behaftet. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns von Klischees lösen und das Besondere in jedem Menschen sehen. Wie engagiert und kreativ so viele Menschen, Netzwerke und Organisationen den Welt-Alzheimertag und die Woche der Demenz vorbereiten, freut mich sehr.

 

Möchten Sie eine Botschaft anlässlich des Welt-Alzheimertages an die Öffentlichkeit senden?

Lassen Sie uns gemeinsam offen sein für neue Sichtweisen und Demenz endlich aus der Tabuzone holen. Nur so schaffen wir eine inklusive und verständnisvolle Gesellschaft.

 

Das Interview zum Herunterladen | PDF